Vor hundert Jahren, ziemlich genau sogar auf den Tag, also am 28. Oktober 1924, stand an der Stelle des heute Nitribitt-Haus genannten Gebäudes der Vergnügungsbetrieb „Groß-Frankfurt“. Dieser war noch vor dem Ersten Weltkrieg in die Planung gegangen und wurde, noch während der Krieg in Europa wütete, auch im Jahr 1917 eingeweiht. Sieben Jahre danach, Ludwig Landmann war gerade zum Frankfurter Oberbürgermeister gewählt worden, hatte man den Ersten Weltkrieg und eine Pandemie, die Spanische Grippe, mit Ach und Krach hinter sich gelassen. Und aus dem Neubau war mittlerweile ein Zentrum des Nachtlebens geworden. Die Goldenen Zwanziger waren auch in Frankfurt angekommen. OB Ludwig Landmann legte damals Pläne für die Bildung eines Zusammenschlusses der Städte und Gemeinden im Rhein-Mainischen-Städtekranz vor. Heute nennt man das Umlandverband und ist auch genau wie damals nicht sonderlich beliebt.

Aber in diesem Umfeld von Historie, Umwälzung, Neumachen wird im Vergnügungsbetrieb „Groß-Frankfurt“, genauer: in der dort untergebrachten „Weinstube“, an eben jenem 28. Oktober 1924 der Frankfurter Schachverband gegründet.

Zu einem Verband gehören in der Regel Vereine, und die gab es beim Schach in Frankfurt seit etwa 1866, also so um die Zeit als Bismarck preußische Truppen schickte und die Freie Reichsstadt noch freier machte. 1875 gründete sich der Frankfurter Schachverein, und 1878 fand in Frankfurt der 12. Schachkongress des westdeutschen Schachbundes statt. 1880 gründete sich der Verein „Anderssen“ in Frankfurt. Natürlich verehrte man den großen Meister Adolf Anderssen ohnehin überall im Reich. Sein Sieg in London 1851 ebnete den Weg in die Schach-Neuzeit, seine spektakulären Partien, die „Immergrüne“ und die „Unsterbliche“ sind legendär. Aber er spielte auch das letzte Turnier seines Lebens am Main, eben 1878 und er starb im März des Folgejahres.

Neun Jahre später, 1887, war der Frankfurter Schachklub erneut Triebfeder bei der Durchführung eines Kongresses, diesmal gar der des Deutschen Schachbundes. Die beiden Frankfurter Klubs schaukelten sich in den folgenden Jahrzehnten bis ins Jahr 1924 zu immer größeren Mitgliederzahlen hoch. Doch schließlich verfügte „Anderssen“ über mehr Ressourcen, um sich gegen den Frankfurter Schachklub durchzusetzen.

Ein beliebter Streitpunkt war dabei die Ausschreibung und Durchführung der „Meisterschaft von Frankfurt“, also der Vorläufer der Frankfurter Stadtmeisterschaft. Diese war hervorgegangen aus den Winterturnieren des Frankfurter Schachklubs und mit Preisen aus der Stiftung eines Klubmäzens gut ausgestattet. Schließlich schrieb man 1899 zum Silberjubiläum des Vereins erstmalig eine Meisterschaft für alle Frankfurter aus, die dann auch 1900 stattfand und mit Direktor Ferdinand Walter Pelzer, einem Privatdetektiv, den ersten Sieger fand. Gerade wie es dem Frankfurter Schachklub passte, richtete man in den Folgejahren das Turnier mal aus und dann wieder nicht, natürlich ohnehin unterbrochen durch die Kriegs- und Hungerjahre. Im Jahr 1920 wurde der Mittelrheinische Schachbund gegründet. Zeitgleich dazu wurde auch mal wieder eine Meisterschaft von Frankfurt ausgetragen, die aber jetzt bereits schon vom „Anderssen“ ausgeschrieben wurde und auch ein Spieler vom „Anderssen“, Prof. Nathan Mannheimer, erneut gewann. Den Frankfurter Schachklub gab es da schon nicht mehr, bzw. Nachfolger durch Fusionen war die Freie Schachvereinigung geworden. Doch die zeigte zunächst wenig Interesse an der Meisterschaft.

Der 23. Kongress des Deutschen Schachbundes fand im Jahr 1923 in schwierigster Zeit ebenfalls wieder in Frankfurt statt, und diesmal war „Anderssen“ für die Organisation zuständig. Da dies Zeit, Geld und Ressourcen verschlang, und man sicher auch die Turniere des Mittelrheinischen Schachbundes denen einer „Stadtmeisterschaft“ vorzog, erklärt das Loch in der Ausrichtung dieser Meisterschaft, das sich ab 1920 ergab. In diese Lücke stieß nun wieder die Freie Schachvereinigung, in deren Kern noch etwas DNA des alten Frankfurter Schachklubs vorhanden war, und schrieb ein Turnier um die Meisterschaft von Frankfurt aus. Damit zielte man sicher auf die 50 Jahre zurückliegende Gründung dieses Klubs ab. Was dem „Anderssen“ und einigen anderen Schachvertretern in der Stadt aber nicht so recht passte. Konsequenz daraus war, dass man sich zusammensetzte und gemeinsam über die Ausrichtung von Turnieren, insbesondere der Stadtmeisterschaft, eine Entscheidung herbeiführen wollte. Die Idee der Gründung eines Stadtverbandes lag da mehr als nahe und führte schließlich auch dazu. Erster Vorsitzender des Stadtverbandes wurde Siegmund Steinberg vom „Anderssen“, zu seinem Vertreter wurde Richard Schmid von der „Schachvereinigung“ gewählt. Der erst 1921 gegründete „Klub der Schachfreunde“ erhielt mit Erich Weber die Funktion des Schatzmeisters, und auch alle anderen Gründungsvereine waren im Vorstand mit einem Posten vertreten. Die daraufhin ausgeschriebene Stadtmeisterschaft gewann Wilhelm Orbach vom „Anderssen“ im Jahr 1925.

Der Stadtverband nahm aber seine Aufgaben nun ernst und zumindest die Frankfurter Stadtmeisterschaft fand nun deutlich regelmäßiger statt. Diese Vertretung der Interessen aller Vereine und Schachspieler führte auch zu Neugründungen und steigenden Mitgliederzahlen. Fechenheim, Bornheim, auch Arbeiterschachklubs, schlossen sich neu gegründet dem Verband an. Doch diese scheinbare Idylle fand ein jähes Ende. Als im Januar 1933 die Nationalsozialisten die Wahlen zum Reichstag gewannen und deren Spitzenkandidat Adolf Hitler Kanzler wurde, waren die Entscheidungsstrukturen bereits so von dessen Ideologie infiziert, dass deren Umsetzung in kürzester Zeit erfolgte. Frankfurt bildete hier keine Ausnahme, und Gleichschaltung und Führerprinzip folgten. Und nicht zu vergessen: Ausschluss der jüdischen Mitglieder nicht nur aus den Vorständen, sondern auch aus den Vereinen. Der als jüdisch geltende Verein „Anderssen“ hörte wie alle anderen Vereine auch auf zu existieren. Schneller als es die Schachkalender, die ja nur einmal im Jahr erschienen, darzustellen vermochten, verschwanden Jahrzehnte alte Vereine aus den Listen.

So löste der Parteigenosse Christlieb Wagner aus Frankfurt den ersten Vorsitzenden des Mittelrheinische Schachbundes (MRSB), Stadtbaurat Karl Otto aus Bad Ems, als Leiter ab. Der „Führer“ des Frankfurter Schachverbandes war nun der Bücherrevisor Johannes Herrmann aus Frankfurt.

Die Untergruppierungen des MRSB waren sprachlich zunächst meist Gaue geworden. Bis 1935, also effektiv schon in 1934, wurden daraus nun Unterverbände, zumeist mit einer Himmelsrichtung als Zusatz. Der Schachverband Frankfurt wurde jetzt zum Bezirk Frankfurt, und war Teil des Unterverbandes Mitte geworden. Weitere Bezirke waren hier Main-Taunus (mit Bad Homburg, Oberursel, Hofheim, Rüsselheim, usw.), Wiesbaden-Rüdesheim, Diez, Weilburg u.a.

Dem Bezirk Frankfurt gehörte nur noch ein Verein an, namentlich die Schachvereinigung Groß-Frankfurt. Doch das eigentliche Schachleben spielte sich in den so genannten 11 Gruppen ab, von denen die wichtigsten die „Innenstadt“ und „Bahnhof“ waren.

Die „Innenstadt“ traf sich im Café Schiller, das wohl einen größeren Saal besaß und 1934 Schauplatz einer Frankfurter Stadtmeisterschaft mit sage und schreibe 156 Teilnehmern wurde. Gegenüber waren die Redaktionsräume des Generalanzeigers, und mit hoher Frequenz wurde über diese Massenveranstaltung berichtet. Schaute man vom Café Schiller aus nach rechts die Straße hoch, sah man wieder den Eschenheimer Turm.

Die Gruppe „Bahnhof“ traf sich im Schachcafé in der Moselstraße 6a, ehemals Café Ferdinand. Hier waren nun wie zuvor die „Schachfreunde“ beheimatet. Jüdischen Spielern blieb der Zutritt zu allen Gruppenlokalen verwehrt.

Frankfurt wird wie andere größere Zentren zum Ziel alliierter Bomberangriffe und wie fast überall kommt auch das Schachspielen zum Erliegen. Und viele werden den Krieg nicht überleben, bzw. kehren nicht wieder zurück.

Von den Gründungsvereinen des Frankfurter Schachverbandes „überlebt“ den Zweiten Weltkrieg nur der „Klub der Schachfreunde“ und wird sich eine Vormachtstellung bis in die 60er Jahre sichern. In deren Lokalität, dem Schachcafé, wird am 16. Juni 1946 der Hessische Schachverband gegründet, und an gleicher Stätte und als letzter Bezirk entschließt sich auch der „Bezirk V Frankfurt“ am 02. November 1947 wieder an den Start zu gehen. Erster Vorsitzender wird für zwei Jahre Fritz Sofke aus Bornheim.

Es werden sofort Maßnahmen getroffen, um wieder Mannschaftskämpfe und Einzelturniere veranstalten zu können, obwohl dass in einer ausgebombten Innenstadt schwierig ist. Im Frankfurter Stadtteil Heddernheim meldet sich ein Verein beim Bezirk an, der dem „Klub der Schachfreunde“ die Vormachtstellung streitig machen wird: die Königsspringer. In nicht wenigen Jahren werden diese ihren Spielbetrieb vom Stadtrand in die Innenstadt verlegen, einen neuen Vorsitzenden und Namen bekommen: Kurt Hechinger macht den Klub zu „Königsspringer Frankfurt“, und viele Jahre später, 1978, auch zum Deutschen Mannschaftsmeister. Als Hechinger Mitte der 80er Jahre das Geld ausgeht, ist es auch bald mit den Königsspringern vorbei.

Für die „Schachfreunde Frankfurt 1921“, wie der Klub heute genannt wird, wird es, auch nach Hechinger, nicht mehr so erfolgreich wie noch unmittelbar nach dem Krieg laufen. Neben den Königsspringern gab es jetzt auch noch Grünweiß Frankfurt, die ihnen die Spitzenplätze streitig machten. Und danach erst recht die FTG 1847, unter der Abteilungsleitung von Arthur Fischer, die später vereinzelte Trümmer der Königsspringer und Grünweiß sammelte, und den „Schachfreunden“ keine rechte Chance mehr ließ. Von der erfolgreichen Zeit, als ein Jäger, Joppen, Kunerth und später noch Maeder bei den Schachfreunden spielten, sind sie heute leider recht weit entfernt.

Irgendwann zu Beginn der 50er Jahre änderten die Bezirke ihre Benennung in „Unterverband“, wann genau ließ sich nicht rekonstruieren. Seit Mitte der 90er Jahre schließlich heißen die direkten Untergliederungen des Hessischen Schachverbandes wieder Bezirk.

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In der Bildmitte der Frankfurter Historiker Gerd Heinrich, ohne Funktion im Bezirk, der aber einen Aufsatz über die Zeit der Gründung schrieb. Das Ganze im Rahmen einer Bezirksvorstandssitzung. Anwesend waren u.a.: Dieter Haas, 1. Vorsitzender, Frank Geisselmann, 2. Vors., Hans-Dieter Post, TlfE , Carsten Cleve als komm. TlfM, Wolfgang Hettler (im Foto links), Rolf Schnell, Markus Kühnel, allesamt Beisitzer.

Von gk